Zahlreiche Behörden warnen ihre Bürger vor einem neuen Phänomen der Kriminalität – Virtual Kidnapping. Hierbei wird, unter dem Vorwand eine nahestehende Person sei entführt worden, eine Lösegeldforderung gestellt. Eine tatsächliche Entführung fand jedoch nie statt. Somit handelt es sich nicht um eine Entführung im eigentlichen Sinne, sondern um eine spezielle Form des Betrugs.
Die geografische Verbreitung dieses Phänomens war lange Zeit auf Mexiko und Teile Südamerikas beschränkt. Doch seit dem Jahr 2014 steigen die Vorfälle in den USA, Kanada und Spanien rasant an. Auch in weiteren Ländern Westeuropas sowie in Russland und China sind erste Fälle bekannt geworden.
Infolge dieser Dynamik haben sich verschiedene Vorgehensweisen des Virtual Kidnappings, wie nachfolgend aufgelistet, entwickelt. Dabei gilt jedoch immer derselbe Grundgedanke: Das Ausnutzen einer Zeitspanne, in der die angeblich entführte Person weder telefonisch noch über Social Media erreichbar ist.
Einige Beispiele von unterschiedlichen Vorgehensweisen:
• Fremdländische Personen, wie internationale Schüler bzw. Studenten, Dienstreisende oder Touristen, werden von jemandem kontaktiert, der vorgibt, für eine Behörde des Herkunftslandes zu arbeiten. Dieser teilt dem Angerufenen mit, dass er dort in eine Straftat verwickelt sei, und wird gebeten bei der Untersuchung mitzuwirken. Der Angerufene wird aufgefordert für einige Stunden jeglichen Kontakt, auch zur Familie, zu vermeiden. Anschließend erhält die Familie einen Anruf, dass ihr Verwandter entführt wurde und nur durch eine Lösegeldforderung freigelassen wird.
• Der Täter stellt sich als Bandenmitglied oder korrupter Beamter vor und fordert Lösegeld für eine entführte Person.
• Zwei sich nahestehende Personen werden zeitgleich angerufen. Beiden wird die Entführung des jeweils anderen erzählt und Lösegeld gefordert.
• Es wird abgewartet bis eine Person nicht erreichbar ist, wie zum Beispiel beim Kinobesuch oder beim Reisen mit einem Transportmittel ohne Mobilfunkverbindung (Flugzeug oder lange Busfahrt durch eine abgelegene Region). Diese Zeitspanne kann genügen, um einer nahestehenden Person von dessen Entführung zu überzeugen und Lösegeld zu fordern.
• Es wird ein Handy eines kürzlich tödlich Verunglückten benutzt, um von diesem eine Entführung vorzutäuschen.
• Zufallsanrufe: Täter rufen zahlreiche Nummern an und hoffen, dass einer auf den Betrug hereinfällt.
Alle Vorgehensweisen versuchen Gefühle von Angst, Panik und Dringlichkeit zu erzeugen, um das Opfer zu einer hastigen Entscheidung zu drängen. Denn zumeist wird gedroht, dass die vermeintlich entführte Person zu Schaden kommen wird, sobald der Angerufene auflegt bzw. die gestellten Bedingungen nicht zügig erfüllt. Zur Verstärkung dieses Effekts wird in einigen Fällen versucht die Glaubwürdigkeit einer Entführung zu erhöhen, indem ein Komplize im Hintergrund um Hilfe schreit und weint. Eine weitere Möglichkeit die Echtheit zu fingieren wird mittels „Call ID Spoofing“ ermöglicht. Durch diese technische Neuerung kann die Originalrufnummer verschleiert und eine behördliche Rufnummer vorgetäuscht werden. Dies erschwert nicht nur die Strafverfolgung, sondern nutzt auch das Vertrauen der Bürger in die Behörden aus. Es ist schwierig solch einen Betrug zu erkennen. Aber es gibt einige Indikatoren, die dabei helfen können:
• Eingehender Anruf stammt von einer ausländischen Rufnummer
• Mehrere aufeinanderfolgende Telefonanrufe
• Anrufe kommen nicht vom Telefon der entführten Person
• Täter sind sehr bemüht den Angerufenen am Telefon zu halten
• Es wird vehement verneint die entführte Person zu sprechen
• Lösegeld wird nur per elektronischem Zahlungsmittel akzeptiert, Bargeld wird abgelehnt
• Nach dem ersten Aufkommen von Widerstand verringert sich die Höhe des Lösegeldes zügig
Je aufwendiger die Vorgehensweise ist, desto eher wird es von kriminellen Banden mit entsprechenden Ressourcen durchgeführt. Jedoch findet Virtual Kidnapping auch bei Kleinkriminellen großen Zulauf. Das Motiv ist bei beiden Tätergruppen gleich – der schnelle finanzielle Gewinn. Das geforderte Lösegeld fällt zumeist geringer als bei einer klassischen Entführung aus. Die Transaktion erfolgt dafür umso schneller. Bei unvorbereiteten Taten, wie es bei Zufallsanrufen oder entwendeten Mobiltelefonen der Fall ist, sind es häufig Beträge von Hunderten bis Tausenden US-Dollar. Bei geplanten Taten wird das (wohlhabende) Opfer gezielt durch Recherche ausgesucht, wodurch sich die Lösegeldforderung auf ein Vielfaches erhöhen kann. Diese Suche basiert oftmals auf frei verfügbaren Informationen im Internet. Die Menge der Details hängt davon ab, wie viel die Person im Internet über sich freigibt oder mittelbar durch Dritte offenbart wird. Insbesondere Jugendliche verbringen viel Zeit in sozialen Netzwerken und hinterlassen eine unüberschaubare Menge an Informationen. Auch die Interaktion mit Unbekannten ist im Internet sehr leicht möglich. Um Minderjährige vor einem Missbrauch ihrer Informationen zu schützen, können einige Maßnahmen beachtet werden:
• Sensibilisierung der Kinder und Jugendlichen auf die Gefahren, die von der Nutzung des Internets, besonders von Social Media, ausgehen
• Den Umgang mit vertraulichen Informationen sowie Fremden im Internet schulen
• Auf Sicherheitsfunktionen bei allen Endgeräten achten, wie zum Beispiel die Deaktivierung des „Geotaggings“, damit der Standort des Nutzers nicht lokalisiert werden kann
• Datenschutzeinstellungen der Dienste so einstellen, dass der erwünschte Schutz der Privatsphäre gewährleistet ist
Zukünftig kann mit der Zunahme des Virtual Kidnappings gerechnet werden, da es durch einige Faktoren begünstigt wird: Zum einen bedarf es zur Tat keiner kostenintensiven oder hochentwickelten Ressourcen. Ein Telefonbuch, ein Telefon und ein elektronisches Zahlungsmittel genügen. Zum anderen erfolgt sowohl die Kontaktaufnahme als auch die Lösegeldübermittlung gänzlich ohne Interaktion von Angesicht zu Angesicht. Die Digitalisierung erleichtert zudem nicht nur das Sammeln von Informationen, sondern erlaubt dem Täter unabhängig von einem bestimmten Ort zu agieren. Es gab bereits Fälle, in denen Insassen aus südamerikanischen Gefängnissen heraus mit Erfolg Anrufe getätigt haben. Des Weiteren erschwert der transnationale Charakter der Tat die Verbrechensbekämpfung erheblich.
Keep in Mind
• Bei Virtual Kidnapping wird unter dem Vorwand eine nahestehende Person sei entführt worden, eine Lösegeldforderung gestellt, obwohl keine tatsächliche Entführung stattfand.
• Das Opfer wird durch emotionalen Druck oftmals zu einer überschnellen Reaktion gedrängt.
• Das Motiv der Täter ist der schnelle finanzielle Gewinn.
• Minderjährige sind besonders gefährdet, da sie teilweise viele vertrauliche Informationen über Social Media teilen. Hier hilft Sensibilisierung.
• Zukünftig kann mit der Zunahme des Virtual Kidnappings gerechnet werden, da es durch einige Faktoren, wie minimaler Ressourcenaufwand, Digitalisierung und transnationale Verkettung, begünstigt wird.
Quellen:
Red24 Kidnap for Ransom and Extortion Global Monitor October – Dezember 2017.
Red24 Kidnap for Ransom and Extortion Global Monitor December 2016 – March 2017.
Wright, R. (2009). Kidnap for Ransom. ISBN 978-1-4200-8007-0.
Anmerkung Seitens der Privatimus GmbH: Dies ist ein Blogbeitrag von Christian Kluge.